Historischer Nato-Gipfel in Den Haag
Der bevorstehende Gipfel der NATO in Den Haag könnte als ein Meilenstein in der Geschichte der transatlantischen Militärallianz angesehen werden. Inmitten der wachsenden Bedrohungen durch Russland plant die NATO, ihre Verteidigungsanstrengungen auf ein historisches Niveau zu heben. Interessanterweise wird das Treffen der Staats- und Regierungschefs der 32 NATO-Mitgliedstaaten vermutlich der kürzeste Gipfel in der Geschichte der Allianz sein. Anstelle der ursprünglich vorgesehenen zwei Tage wird der Fokus auf einer kompakten zweieinhalbstündigen Arbeitssitzung liegen.
Die Zeitplanung des Gipfels ist so straff, dass US-Präsident Donald Trump nicht einmal die Möglichkeit haben wird, vorzeitig abzureisen. Die abschließende Erklärung, die bereits im Vorfeld vorbereitet wurde, soll bis zum Mittag des Gipfeltages stehen – vorausgesetzt, Trump stimmt dem zu. Um seinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, wurde Trump nach einem festlichen Abendessen mit den NATO-Kollegen im königlichen Palast untergebracht. Hier sind fünf zentrale Themen, die auf der Agenda des Gipfels stehen:
1. Neues 5-Prozent-Ziel
Ein zentrales Anliegen des Gipfels ist die Einigung auf ein Ziel, wonach 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investiert werden sollen. Dieses Ziel gliedert sich in 3,5 Prozent für traditionelle Militärausgaben, wie Panzer und Kampfflugzeuge, sowie 1,5 Prozent für verteidigungsnahe Investitionen, einschließlich Cyberabwehr und Infrastruktur für militärische Einsätze. Die Mitgliedstaaten haben bis 2035 Zeit, um diese Vorgaben zu erfüllen, wobei jährliche Zwischenberichte und eine umfassende Evaluation im Jahr 2029 erfolgen sollen.
Besonders bemerkenswert ist, dass in der Gipfelerklärung auch festgehalten wird, dass die Unterstützung für die Ukraine in diese Zielvorgaben einfließen kann. Diese Praxis war bereits inoffiziell gängig, und Deutschland könnte 2024 erstmals das alte 2-Prozent-Ziel erreichen. Allerdings gibt es auch Widerstand: Spanien hat zwar erklärt, das 5-Prozent-Ziel unterstützen zu wollen, plant jedoch nicht, entsprechend viel zu investieren. Trump bezeichnete Spanien kurz vor dem Gipfel als „Problem für die NATO“. Es bleibt abzuwarten, ob dies zu Spannungen führen wird.
2. Ukraine und Russland als zentrale Themen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nahm bereits am Abendessen mit den NATO-Staatsoberhäuptern teil, dennoch bleibt die Ukraine weiterhin ohne volle Mitgliedschaft. In der Gipfelerklärung wird jedoch voraussichtlich eine weitere Unterstützung für die Ukraine im Kampf gegen Russland zugesichert. Alle 32 NATO-Mitglieder, einschließlich der USA, werden voraussichtlich dem Entwurf zustimmen. Trotz Trumps bisherigem Stillschweigen über Waffenpakete fließt die Hilfe für die Ukraine unvermindert weiter. Russland wird in dem Gipfelpapier explizit als Bedrohung für den euroatlantischen Raum bezeichnet, was eine klare Positionierung der Allianz darstellt.
3. Bekenntnis zum Bündnisfall
Das Bekenntnis zu Artikel 5 des NATO-Vertrags, der die Beistandspflicht der Mitgliedstaaten beschreibt, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dieser Artikel besagt, dass ein Angriff auf einen Mitgliedstaat als Angriff auf alle angesehen wird. Auch wenn dieser Artikel in der Vergangenheit nur einmal aktiviert wurde – nach den Anschlägen vom 11. September 2001 – steht das Bekenntnis zum Beistand im Mittelpunkt der Gipfelerklärung. Trump sorgte jedoch auf dem Weg zum Gipfel für Verwirrung, indem er vor Journalisten andeutete, dass es verschiedene Definitionen von Artikel 5 gebe. Diese Unklarheit könnte Fragen über die zukünftige US-Position innerhalb der NATO aufwerfen.
4. Führungsrolle Deutschlands
Mit einem möglichen Rückzug der USA aus Europa könnte Deutschland eine stärkere Führungsrolle innerhalb der NATO übernehmen. Bundeskanzler Friedrich Merz hat signalisiert, dass Deutschland bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen. Die Aufhebung der Schuldenbremse ermöglicht eine nahezu uneingeschränkte Aufrüstung, was Merz bei seinem ersten NATO-Gipfel in eine starke Position bringt.
5. Mini-EU-Gipfel im Anschluss
Unmittelbar nach dem NATO-Gipfel wird in Den Haag ein Mini-EU-Gipfel stattfinden, zu dem auch Selenskyj und der niederländische Premierminister Mark Rutte eingeladen sind. Die Themen werden sich um ein neues Sanktionspaket der EU, den Umgang mit eingefrorenem russischem Vermögen und die Ausweitung der Rüstungsproduktion in Europa drehen. Dies stellt eine wichtige Abstimmung mit dem ukrainischen Präsidenten dar, bevor am Donnerstag der eigentliche EU-Gipfel in Brüssel beginnt. Diplomaten hoffen, dass in vertraulichen Gesprächen letzte Vorbehalte ausgeräumt werden, um das 18. Sanktionspaket einvernehmlich zu verabschieden. Die Maßnahmen zielen insbesondere auf den Energie- und Bankensektor Russlands ab.
Insgesamt deutet alles darauf hin, dass dieser Gipfel der NATO in Den Haag eine entscheidende Rolle in der zukünftigen Ausrichtung der Allianz spielen wird, sowohl in Bezug auf die Verteidigungsstrategie als auch auf die geopolitischen Herausforderungen, die vor uns liegen.
